D. NICKEL
5.2 Relevanz von Vorher-Nachher-Bildern
5.2.1 Behandlungsfehler und medizinische Qualitätskontrolle
Bei der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches gegenüber einem Arzt kommt der sorgfältigen Dokumentation einer Behandlung eine ganz erhebliche Bedeutung zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kehrt sich die Beweislast zu Lasten des Arztes um, wenn der Patient aufgrund mangelnder Dokumentation in Beweisschwierigkeiten gerät. Lässt der Arzt beispielsweise pflichtwidrig dokumentationsbedürftige Befunde in den Krankenunterlagen undokumentiert, so folgt hieraus per Indiz, dass das, was nicht dokumentiert wurde, auch nicht geschehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 1995, Aktenzeichen VI ZR 272/93).
Bei unsachgemäßer- oder unvollständiger Anfertigung von Vorher-Nachher-Bildern kann dies im Hinblick auf einen etwaigen Behandlungsfehler problematisch werden. Beispielsweise ist die erforderliche Fotodokumentation dann sachgemäß, wenn sie neben obligater befundtauglicher Fotoqualität vor allem auch die entsprechende zeitliche Datierung aufweist (mit Einführung der digitalen Fotographie verlor dieses Kriterium an Bedeutung, da der Aufnahmezeitpunkt in der digitalen Bilddatei automatisch und verifizierbar dokumentiert wird). Allerdings ist oft strittig und erst im Rahmen gerichtlicher Sachverständigengutachten zu klären, ob eine durchgeführte Bildgebung in Form von Vorher-Nachher-Bildern ausreichend oder mangelhaft ist.
5.2.2 Berufsrecht und Wettbewerbsrecht
Am 1. April 2006 trat die 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) in Kraft. Bestandteil dieser Gesetzesnovelle ist unter anderem eine Änderung des für die Thematik „Vorher-Nachher-Bilder“ maßgeblichen Heilmittelwerbegesetzes (HWG). Hier heißt es in § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. b: „Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden mit der bildlichen Darstellung … einer Behandlung … durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach der Anwendung.“
Schönheitschirurgische Eingriffe fallen seit besagtem 1. April 2006 in den Anwendungsbereich des HWG und sind dessen Schranken unterworfen. Hieraus ergibt sich, dass sogenannte Vorher-Nachher-Bilder nicht im Sinne einer Werbung Verwendung finden dürfen.
Angesichts angeblich rapide steigender Zahlen von schönheitschirurgischen Eingriffen, über die nie Beleg geführt wurde (die großen Medizinischen Vereinigungen berichten bis heute von einer Stagnation der Anzahl plastisch-ästhetischer operativer Eingriffe), erachtete es der Gesetzgeber trotzdem als notwendig, die Werbung für diese Verfahren dem Heilmittelwerbegesetz zu unterwerfen.
Sinn und Zweck des § 11 Nr. 5 lit. b HWG war es, einer unsachlichen, suggestiven Beeinflussung des medizinischen Laien und einer Irreführungsgefahr entgegenzuwirken (OLG Düsseldorf, MD 1998, 1028, 1034).
Aufgrund der Ausweitung des Anwendungsbereiches auf Behandlungen im Bereich der Schönheitschirurgie dürfen daher keine Vorher-Nachher-Bilder gezeigt werden. Es erscheint jedoch mehr als fraglich, ob mit dieser Regelung dem ursprünglichen Gedanken des Patientenschutzes im Hinblick auf eine angebliche suggestive Beeinflussung des medizinischen Laien überhaupt Rechnung getragen wird. Das Recht des Patienten auf Informationsfreiheit – resultierend aus Art. 5 des Grundgesetzes – dürfte durch das Verbot von Vorher-Nachher-Bildern ganz erheblich eingeschränkt sein, da diese vornehmlich der Patienteninformation dienen.
Auch sind Vorher-Nachher-Bilder für den behandelnden Arzt sehr gut geeignete Hilfsmittel bei der Patientenaufklärung hinsichtlich der Möglichkeiten, die sogenannte Schönheitsoperationen bieten. Hier kann dem Patienten veranschaulicht werden, was machbar ist. Dies ermöglicht dem Patienten eine realistische Einschätzung, die beispielsweise im Rahmen von Computersimulationen nicht in dem Maß gegeben ist.
Art. 12 des Grundgesetzes schützt die freie Berufsausübung. Von dieser Berufsfreiheit ist nicht nur die ärztliche Tätigkeit, sondern auch die berufliche Außendarstellung, also das Recht auf Werbung, erfasst. Seine Grenzen findet Art. 12 GG derzeit im Hinblick auf Vorher-Nachher-Bilder zum Beispiel in schon erwähnten Regelungen im Heilmittelwerbegesetz. Ob sich das Gewicht in diesem noch nicht austarierten Bereich zu Gunsten der freien Berufsausübung verschiebt, wird sich erst in der Zukunft zeigen.
Auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht begegnen die Regelungen zu Vorher-Nachher-Bildern im Heilmittelwerbegesetz Bedenken. Betrachtet man die Rechtslage bei europäischen Nachbarn, lässt sich feststellen, dass beispielsweise in Österreich, aber auch innerhalb zahlreicher anderer europäischer Rechtsordnungen ein Verbot von Vorher-Nachher-Bildern nicht besteht. Insoweit ist auch eine wettbewerbsrechtliche Komponente tangiert, der bislang im Rahmen der deutschen Regelungen und der hieraus folgenden Rechtsprechung keine Beachtung geschenkt wurde. Einen in Deutschland niedergelassenen Arzt treffen insoweit erhebliche Wettbewerbsnachteile.
5.2.3 Ausblick
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat Ende 2011 einen Referentenentwurf für das Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften („16. AMG-Novelle“) veröffentlicht. Art. 5 des Referentenentwurfes sieht eine Ergänzung von § 11 HMG vor. Zitat (§ 11 Abs. 1 S. 3 des Entwurfes): „Ferner darf für die in § 1 Nr. 2 genannten operativen plastischchirurgischen Eingriffe nicht mit der Wirkung einer solchen Behandlung durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach der Anwendung geworben werden.“
Ein abstraktes Verbot für ästhetisch plastische Eingriffe findet sich nicht im Gemeinschaftskodex (vgl. Richtlinie 2001/83/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel), dessen Regelungsbereich bezieht sich jedoch allein auf Humanarzneimittel mit der Folge, dass im nationalen Recht im Hinblick auf Schönheitsoperationen eigenständig Regelungsspielraum genutzt und dieses Feld mit eigenen nationalen Regeln abgesteckt werden darf;
insoweit besteht also Handlungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers. Allerdings wird sich bei diesem verbleibenden abstrakten Verbot die verfassungsrechtliche Frage stellen, inwieweit dieses in seiner Pauschalität mit der Berufsfreiheit vereinbar ist und ob es auch hier der Einschränkung auf Fälle bedarf, in denen eine konkrete Gesundheitsgefährdung vorliegt.
Es ist daher aus juristischer Sicht sehr empfehlenswert, die Entwicklung einer Leitlinie für die Erstellung von Vorher-Nachher-Bildern in der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie voranzutreiben, um einen Rechtsbestand zu definieren.
Die Beiträge des Autors im vorliegenden Buch können hierzu erheblich beitragen.