2.1 Geschichtlicher Rückblick
Das Abbilden und Illustrieren medizinischer Vorgänge und anatomischer Gegebenheiten ist vermutlich so alt wie die Medizin selbst. Den Erkenntnissen der Medizinhistoriker entsprechend war es schon immer ein Bestreben der damaligen Ärzte, Anatomen und Pharmakologen, die körperlichen und pharmakologischen Zusammenhänge und Vorgänge anhand von Figuren, Illustrationen und Bildern zu erklären, zu sammeln und schließlich weiterzuvermitteln. Im Folgenden soll ein knapper Überblick über die Geschichte der medizinischen Illustration und Bilderstellung geboten werden. Als weiterführende und umfangreichere Literatur seien dem Leser Eckart und Jütte (2007) sowie Herrlinger (1967) empfohlen.
Die medizinische Abbildung lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Schon Aristoteles (384-322 v. Chr.) erwähnt beispielsweise in seiner Historia animalium, einer zoologischen Schrift über die Arteneinteilung im Tierreich, ein „reich bebildertes“ Anatomiewerk. Da es hierfür allerdings keinen materiellen Beleg gibt, wird der „Wiener Dioskurides“ (512 n. Chr.) als früheste bekannte Quelle für die medizinisch-botanische Textillustration bezeichnet. Sie stammt vom griechischen Arzt Pedanios Dioskurides, der als berühmtester Pharmakologe des Altertums gilt. In seinem 383 Seiten umfassenden Werk werden kolorierte Pflanzen abgebildet sowie eine Illustration seines Ateliers publiziert.
Auch das späte Mittelalter brachte medizinische Abbildungen hervor. Aufgrund der im Mittelalter praktizierten Qualitäten- und Säftelehre entstand in dieser Zeit eine Vielzahl von Aderlassfiguren und Schemata der Qualitäten- und Säftelehre. Sie stellten ein Hilfsmittel für die behandelnden Wundärzte dar und zeigen auf, welche Ader zu welchem Zeitpunkt „geschlagen“ werden muss, um den gewünschten Entleerungs- und Ausgleichseffekt zu erzielen.
Auch medizinische Behandlungsszenen wurden bereits im Mittelalter angefertigt. Besonders die gotische Miniaturmalerei der französischen Schule des 13. Jahrhunderts ist hier hervorzuheben. Sie bietet unter anderem das gesamte chirurgische ikonographische Programm „a capite ad calcem“ („vom Kopf bis zur Ferse“) in großer Illustrationsfülle.
Als Zeitalter der anatomischen Abbildung gilt das 16. Jahrhundert, in dem der berühmte anatomische Atlas „De humani corporis fabrica libriseptem“ entstand (s. Abb. 1). Der in Padua lebende Anatom Andreas Vesalius (1514-1564, s. Abb. 2) begründete mit diesem großen und an Illustrationen reichen Werk die neuzeitliche Anatomie. Entdeckungen, die sich ihm am Sektionstisch offenbarten, verglich er mit der bis dahin gültigen Auffassung von der Anatomie des menschlichen Körpers, die einst der antike Arzt Galen von Pergamon beschrieben hatte. Mit seinem Werk revidierte Vesalius schließlich zahlreiche Fehlannahmen Galens, die bis dahin Gültigkeit besessen hatten. Die im Rahmen seiner Arbeit entstandenen Holzschnitte versuchten erstmals in der anatomischen Geschichte, die tatsächlichen Gegebenheiten des menschlichen Körpers abzubilden. Weit mehr als ein Jahrhundert lang galten diese als Norm für viele weitere und zum Teil berühmte anatomische Illustrationen.
Mit der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert wurde schließlich eine revolutionäre Epoche der Abbildung und Textillustration eingeläutet [siehe auch Kapitel 3.2]. Erstmals war es der Medizin möglich, Abbildungen anzufertigen, die eine wirklichkeitsgetreue Gegenüberstellung eines gesunden und kranken Organismus ermöglichten, und zu dokumentieren, wie der Organismus eines Probanden bei einem Humanexperiment reagiert.
Die Physiologie nutzte das neue Medium schließlich, um Bewegungsabläufe zu studieren, die dem Betrachter bislang verborgen geblieben waren (s. Abb. 3 von Eadweard Muybridge aus dem Jahr 1878).
Weitere Entwicklungen, die auf Basis der Fotografie entstanden, sind die Mikrofotografie für die Kochsche Bakteriologie oder die Röntgenfotografie [Eckart, Jütte, 2007].
Die Leistungsfähigkeit der Medizin und im Besonderen der medizinischen Diagnostik unserer Zeit liegt sicher zu einem erheblichen Teil in den Möglichkeiten bildgebender Verfahren begründet. Als ältestes Verfahren ist die Röntgendiagnostik zu nennen. Neuere bildgebende Verfahren sind beispielsweise die Ultraschall-Diagnostik, Computertomographie, Kernspintomographie und die Endoskopie.
Aber auch herkömmliche Fotografien finden dank der heute einfachen Herstellung (z. B. mittels einer Digitalkamera) zunehmend Beachtung in der Medizin. So werden beispielsweise Forschungsarbeiten, die typischerweise als textliche Beschreibungen angefertigt werden, immer häufiger mit Fotoaufnahmen „angereichert“, um das Beschriebene bildhaft zu dokumentieren und nachvollziehbar zu machen. Die Plastische und Ästhetische Chirurgie greift schließlich auf Fotografien zurück, um zum Beispiel Behandlungserfolge durch Vorher-Nachher-Bilder sichtbar zu machen und zu dokumentieren.